Corona-Hotspot Ischgl: Knapp die Hälfte der Einwohner war infiziert Antikörper-Test ergibt weltweit höchsten Durchseuchungswert für SARS-CoV-2 Ischgl Der Tiroler Skiort Ischgl war einer der frühen Hotspots der Corona-Pandemie. Wie stark das Virus dort grassierte, enthüllt nun eine Studie. © annie_zhak/ iStock Vorlesen Überraschender Befund: Im Tiroler Skiort Ischgl grassierte das Coronavirus stärker als selbst in Wuhan. Denn wie nun eine Studie enthüllt, tragen gut 42 Prozent der Einwohner Antikörper gegen SARS-CoV-2 in sich – das ist mehr als an jedem anderen Ort der Welt, wie die Forscher berichten. In ihren Tests waren sechsmal mehr Einwohner positiv als zuvor offiziell gemeldet. Das bestätigt die hohe Dunkelziffer der Infektionen. Der Skiort Ischgl in den österreichischen Alpen hat im Frühjahr 2020 traurige Berühmtheit erlangt. Denn bei den Aprés-Ski-Partys in dem beliebten Urlaubsort steckten sich besonders viele Touristen aus aller Welt mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 an – und schleppten das Virus dann unerkannt in ihre Länder ein. Einer Studie vom Mai 2020 zufolge könnten sogar 48 Prozent der Covid-19-Fälle in Deutschland auf den Hotspot Ischgl zurückgehen. Seither ist strittig, ob die örtlichen Gesundheitsbehörden mitschuld an dieser Infektionsausbreitung sind, weil sie die Quarantäne für Ischgl erst Mitte März anordneten – fast zwei Wochen nach der ersten Diagnose und den ersten Warnungen ausländischer Gesundheitsbehörden. Zurzeit laufen daher mehrere Anzeigen gegen das Land Tirol. Weltweit höchste Durchseuchung Mehr Klarheit über das Ausmaß des Corona-Ausbruchs in Ischgl bringt nun die Studie von Forschern um Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie haben Ende April knapp 1.473 Bewohnerinnen und Bewohner aus 479 Haushalten in Ischgl auf eine Infektion getestet – dies entspricht etwa 79 Prozent der Bevölkerung. Zum Einsatz kamen dabei sowohl PCR-Tests, die einen akuten Virenbefall anzeigen, wie auch Antikörpertests, die eine bereits überstandene Infektion nachweisen können. Das Ergebnis: 42,4 Prozent der Einwohner von Ischgl tragen Antikörper gegen das Coronavirus im Blut – ein weltweit einmalig hoher Anteil. Von den Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren hatten 27 Prozent eine Infektion hinter sich. „Wir haben es in Ischgl mit der höchsten, je in einer Studie nachgewiesenen Seroprävalenz zu tun“, sagt von Laer. Selbst im chinesischen Wuhan, dem Ausgangspunkt der weltweiten Corona-Pandemie und im deutschen Corona-Hotspot Heinsberg ist die Durchseuchungsrate geringer. Anzeige Sechsmal mehr Infizierte als offiziell bekannt Damit ist klar: In Ischgl haben sich weit mehr Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, als nach offiziellen Zahlen bekannt war. Der jetzt ermittelte Anteil liegt sechsmal höher als die offiziell gemeldeten Fallzahlen aus diesem Ort. Das unterstreicht, dass die Dunkelziffer bei Covid-19 wegen der vielen milden oder sogar asymptomatischen Verläufe hoch ist. „Eine hohe Rate nicht dokumentierter Fälle haben wir bereits vor Studienbeginn angenommen und sie hat sich nun, wie in anderen Hotspots auch, bestätigt“, sagt von Laer. Gleichzeitig legt die hohe Rate an Infektionen in Ischgl nahe, dass das Virus in dem Skiort schon vor den strengen Quarantänemaßnahmen stark verbreitet war. „Die Studie beweist, dass das Covid-19-Virus bereits im Februar in Ischgl verbreitet gewesen sein muss, da es bei den Touristen, aber eben auch bei den Einheimischen zu einer massenhaften Ansteckung kam“, kommentiert Peter Kolba, Obmann des österreichischen Verbraucherschutzvereines. Er ist einer der Kläger gegen das Land Tirol. Zwischen Stigma und Chance Für die Bewohner von Ischgl sind die Testergebnisse ein eher zweischneidiges Schwert. Zum einen verstärkt die das Stigma ihres Orts als einem weltweiten Corona-Hotspot. Zum anderen aber haben die meisten von ihnen das Schlimmste wahrscheinlich hinter sich: „Auch wenn damit nicht von einer Herdenimmunität auszugehen ist, dürfte die Ischgler Bevölkerung doch zu einem Gutteil geschützt sein“, sagt von Laer. Quelle: Medizinische Universität Innsbruck 26. Juni 2020 - Nadja Podbregar